Ärger im Klassenzimmer
Ist es ziemlich rückwärtsgewandt und damit uncool ein Loblied auf die alten Zeiten zu singen? Solche Leute werden schnell als die Ewig-Gestrigen beschimpft. Fred denkt gern an die DDR zurück. Und schreibt öfters über Dinge aus diesem Land. „Du und deine DDR!“ Hieß es wieder mal von einer meinen besten Freundinnen dazu.
Heute geht es um das Thema Schule. Wieder einmal. Der Grund dafür ist die Mitfahrt am gestrigen Sonntag einer jungen Grundschullehrerin in meinem Auto von Leipzig nach Chemnitz. Irgendwie scheine ich (oder mein Auto) Lehrer magisch anzuziehen. Das ist schon verblüffend. Es saßen schon so viele auf meinem Beifahrersitz. Wie kommt das nur? Noch dazu wo ich mich ja selbst schon seit Jahren für das Bildungssystem sehr interessiere. Und immer möchte ich wissen, was sie so erlebt haben. Na, ein Lehrer hat schon eine Menge zu erzählen, oder? Marie unterrichtet in meiner Heimatstadt Chemnitz in einer Schule im Stadtteil Sonnenberg, einem sozialen Brennpunkt. Die Probleme sind ganz real und sie sind symptomatisch. Drogen, Ausländer, HartzIV – Respektlosigkeit, Verlotterung, Langeweile, Stress. Aus den Erzählungen wiederholen sich Problemfelder und es bilden sich übereinandergelegt Muster. Ich denke über diese Muster nach. Noch mehr schälen sich Veränderungen heraus, wenn man ein „Gegenpart“ kennt – aus meiner Sicht: wie war denn Schule vor der „Kehre“ (Wende)?
Schulvergleich DDR-BRD: Wenn der Leistungsschwächere auf den Stärkeren herabblickt(!)
Durch meine frühere Arbeit beschäftige ich mich ja sehr viel mit dem Bildungssystem der DDR. Und wir als Ostdeutsche sind aus dem DDR-Bildungssystem direkt in das Bundesdeutsche hinübergewachsen, na wohl eher katapultiert worden. Viele dachten damals, im Westen ist alles besser. Wirklich alles? Nun beim Thema Bildung ist das mit sehr einhelliger und überwiegender Meinung der „Ossis“ nicht der Fall, dazu habe ich eine ganz klare Meinung. Hier geht es ganz einfach nicht darum was schicker aussieht, was ja bei vielen Konsumprodukten aus dem goldenen Westen ja gezogen hat. Weder ob das Schulbuch etwas bunter und peppiger aussieht, und vielleicht die Schulbank auch etwas ergonomischer und vielleicht ein klein wenig wertiger. Das macht den Unterschied offenbar nicht aus. Doch selbst materiell scheint es nach den Aussagen von Marie an der Schule ganz schön zu hapern. Es fehlt an allem, keine Technik, keine Beamer, keine Mittel für wichtige Dinge. Das Geld fehlt hinten und vorne.
Natürlich habe ich schon so oft an meine eigene Schulzeit zurückgedacht. Ich habe auch schon ein Video über das Bildungssystem der DDR gedreht. Aber heute soll es im Ansatz mal nicht um das System gehen, sondern um den Lehrerberuf. Warum war, und davon bin ich fest überzeugt, der Lehrerberuf attraktiver und irgendwie auch erfolgversprechender und befriedigender in der DDR, wohin jetzt hingegen einem jungen engagierten Lehrer oder oftmals eher Lehrerin die Freude m Beruf wohl schnell verdorben werden kann? Obwohl es im Traum und Idealbild so ein schöner Beruf sein könnte. Könnte, wohlgemerkt. Ist er aber tatsächlich nicht. Warum?
Da muss man sich mal über die Arbeitsbedingungen des Lehrers Gedanken machen. Was motiviert denn junge Menschen, Lehrer zu werden? Offenbar gehört Geld auch dazu. Vielleicht locken auch die Ferien. Oder die Arbeitszeiten? Etwa Sinnvolles mache ich auch, denkt man zu mindestens. Wo liegen die Herausforderungen des Lehrerberufs? Jetzt und früher? Es gibt Stressfaktoren. In jedem Beruf gibt es die. Diese Stressfaktoren fordern mich heraus. Bin ich in der Lage diese zu meistern, Tag für Tag? Oder bin ich am Ende meiner Laufbahn ein seelisches Wrack? Ein Lehrer arbeitet mit Menschen. Genauer gesagt mit Kindern. Und diese Kinder sind zunehmend nicht einfach. Offenbar alles andere als das.
Die Kinder waren in ihrem Entwicklungsstand homogener als heute. Es gab gefühlt weniger verhaltensauffällige Schüler. Was sind die Gründe dafür? Natürlich war die BRD in den 80er und neunziger Jahren auch noch eine andere.
Was können wir aus der Vergangenheit lernen?
Welche wichtigen Veränderungsfaktoren habe ich beim Schul-Vergleich DDR-jetzt ganz konkret herausgearbeitet?
1. Klassische und sichere Familienstrukturen, in der Vater und Mutter einer Arbeit nachgehen
Kinder wuchsen eher noch in althergebrachten Familienumgebungen auf, deren Wertgerüst auch durchmischt noch von Zeiten vor der DDR getragen wurde. Die klassische Familie besteht aus Vater, Mutter und Kind. So auch zu meiner Zeit. Erziehungsmethoden sind auch in der sozialistischen-hell erscheinenden DDR-ideologie streng und typisch deutsch, werden trotz der Ideologie von traditionellen und historischen Mustern getragen. Gerade die Großeltern, die noch den Krieg miterlebt haben schwören auf „preußisch-protestantische“ Disziplin, Fleiß und Härte und Schläge, wenn es drauf ankommt. „Der Junge hat zu spuren….“ usw. Nichts destotrotz möchte sich die DDR als kinderfreundliches und fortschrittliches Land mit modernen Pädagogik und entsprechenden Erziehungsmethoden präsentieren. Die Prügelstrafe wurde schon beizeiten abgeschafft. Spiel und Spaß, Freude am Lernen haben einen großen Raum in der Pädagogik und besonders in der Vorschulerziehung.
Wie sehen die familiären Hintergründe konkret aus? Vater und Mutter sind beide berufstätig. Das ist gefühlt für 99% aller Erwachsenen zutreffend. Arbeitslose oder alternative Lebensmodelle gibt es in der DDR nicht, und das wird auch durch einen typisch deutschen, straff organisierten Apparat von allerlei Organen und Behörden durchgesetzt. Es findet seine gesetzliche Grundlage in Artikel 24 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik:
„Gesellschaftlich nützliche Tätigkeit ist eine ehrenvolle Pflicht für jeden arbeitsfähigen Bürger. Das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit bilden eine Einheit.“
Und im sog. Asozialen Paragraphen im Strafgesetzbuch der DDR, der in typisch deutscher Manier und auch mit Tradition Arbeitsverweigerung und Arbeitsentzug inakzeptabel stellte:
§ 249. Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch asoziales Verhalten.
(1) Wer das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigt, indem er sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist, wird mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft.
2. Respekt, Gehorsam, Autorität
Der Respekt vor Erwachsenen und insbesondere vor dem Lehrer ist ein integrales, sogar selbstverständliches Bildungs- und Erziehungsziel, weiter noch eher des DDR-Bildungssystems und des gesamten Gesellschaftssystems zu sein. Dieses ergibt sich wiederum aus den übernommen Rollenbildern aus dem ersten Punkt. Die DDR ist zuvorderst ein autoritärer Staat und das setzt sich auch bis in ihren kleinsten Einheiten fort, die Familie, wie auch die Schulklasse. Bereits im Kindergarten gibt es einen Bildungs- und Erziehungsplan. Dieser befähigt die Erziehern den Kinders systematisch neben allerlei anderen Fähigkeiten die sie spielerisch erlernen, Normative – „normgerechtes Verhalten“ (heute besser klingend: Kompetenzen) im Sozialverhalten gegenüber anderen Kindern und Erwachsenen Personen zu erlernen, zu üben und sich anzugewöhnen. Der Respekt vor den Eltern und Erwachsenen, sowie Disziplin spiegelt sich unter anderem in den Geboten der Jungpioniere: 2. Gebot „WIR JUNGPIONIERE lieben unsere Eltern.“ 5. Gebot „WIR JUNGPIONIERE lernen fleißig, lernen ordentlich und sind diszipliniert.“ 6. Gebot: „Wir JUNGEPIONIERE achten alle arbeitenden Menschen und helfen überall tüchtig mit.“
3. Elternhaus und Schule – gemeinsam + Betrieb + staatliche Institutionen
Die Eltern stehen gewöhnlich auf der Seite des Lehrers und der Schule, sie sind verantwortungsbewusst und haben die Interessen ihrer Kinder im Blick. Sie besuchen die Elternabende. Bei Problemen arbeiten Eltern und Lehrer vertrauensvoll zusammen. Es wird deutlich das beide, Lehrer und Eltern die positive Entwicklung des Kindes im Blick haben. Der „Vater“ Staat hatte in der DDR mehr Rechte als jetzt. So war es nun mal. Das hat vor und Nachteile. Der Vorteil war, dass sich der DDR-Bürger bewusst war, das hinter der Schule das staatliche System der DDR Stand, ein riesiger Apparat, dem zu widersprechen kaum Sinn machte. In der DDR gab es schlicht kein Bewusstsein dafür einem Lehrer offen zu widersprechen und zu hinterfragen (nur in ganz Groben fällen) Der Bürger war sozusagen ein kleiner hilfloser Bittsteller und ein kleines Licht. Die Partei und damit der Staat hat immer recht. Nun könnte allein dieses Thema schon ganze andere Themenbereiche füllen, aber es soll hier nur um das Thema Schule gehen. Es wäre also schlicht keinem Elternteil eingefallen, einen Lehrer verklagen zu wollen oder die Institution schule anzugreifen. So etwas hat in der Realität der DDR schlicht nicht stattgefunden und war undenkbar. Diese Politik hatte natürlich auch ihre Schattenseiten. Aber sie hatte auch Vorteile. Der Lehrer konnte sich der uneingeschränkten Autorität sicher sein, die er auch nach meinem Erleben in den meisten Fällen umfänglich vertrauensvoll und würdig einsetzte und nicht missbrauchte. Die Prügelstrafe wurde in der DDR-Schule schon früher abgeschafft als in der BRD. Dennoch kam es allerlei wirksame Bestrafungsmethoden, die auch gezielt umgesetzt wurden. Machen wir uns nichts vor: Auch Kinder sind nicht immer kleine Engel. Der Lehrer und die Lehrerein muss Instrumente haben, um ein störendes oder undiszipliniertes Kind zur Räson zubringen, das kann von einer ernsteren Ansprache, bis einen Eintrag ins Hausaufgabenheft, bis zum Tadel oder Verweis führen.
Wenn man es also etwas aus der Draufsicht betrachtet, hat die DDR ein echtes System geschaffen bei dem es eine klare Hierarchie und ein klares Oberhaupt gab. Es gab in allen Lebensbereichen kaum Systemteile außerhalb dieser einheitlichen Struktur, die klarer Richtungen und Ziele für alle Beteiligten festlegte und auch umsetzte. Sich außerhalb des Systems zu stellen war weder vorgesehen, und deshalb hat auch kaum einer überhaupt darüber einen Gedanken verschwendet. Zu mindestens in dem Fall sich gegen den Lehrer oder die Schule zu stellen. Deswegen konnte es auch dazu kommen, dass in diesem großen System alle an einem Strang zogen und so im Vergleich zu heute auch homogenere und harmonischere Zustände herrschten, die für die die Arbeit des Lehrers zunächst einmal eine gesunde Basis, eine arbeitsfähige Grundlage bietet. Heute ist das in dieser Stärke nicht mehr der Fall. Es gibt in unserer „freiheitlichen“ Gesellschaft sehr viele unterschiedliche Interessenslagen und unterschiedliche Gruppen und soziale Schichten. Ihre Interessenlagen liegen mitunter in unterschiedlichen Richtungen oder genau entgegengesetzt. Es geht schon damit los, dass es zwischen dem Staat (Bund) und dem Land welche das Schulsystem trägt unterschiedliche Einheiten gibt. Die großen Akteure in der Gesellschaft heißen: Politik(Regierung Land wie Bund) – Schule – Arbeitgeber(Wirtschaft) – Handel(Konsum) – Medien und dazwischen stehen die Eltern und von ihm verantwortet, erzogen und bestimmt der Schüler. Diese werden in ihrem Lagebild in unterschiedliche Richtungen gezogen und entwickeln sich auch ganz unterschiedlich. Das ist ein Spiegel aber auch ein Selbstverständnis unserer modernen, pluralistischen und „offenen“ Gesellschaft. In dessen Ergebnis der Lehrer den Preis im Umgang mit einer höchst inhomogenen Ausgangslange an Schülern und deren Voraussetzungen und heimischen Sozialisationen zwangsläufig umgehen und diese irgendwie bewältigen muss.
4. Geistige Degeneration durch Smartphone und Playstation – wer zahlt den Preis? – Letztlich wir alle – der Lehrer als einer der Ersten
Der letzten Punkt ist die inflationäre und immer mehr um sich greifende Nutzung von elektronischen Medien, die wie eine Seuche rasend schnell und unaufhaltsam ausbreitet .Neulich sah ich mehrere kleine Kinder mit dem Smartphone auf dem Spielplatz, die statt zu klettern und zu spielen mit ihrem „Wischkastl“ hantierten und auf ihr Display vertieft waren. Auch Schulanfänger die auf dem Schulnachhauseweg auf ihr Smartphone starren während des Laufens sind keine Seltenheit mehr. Welche Folgen hat das oder ist das belanglos? Wer sich nur ein bisschen mal kritisch mit den Folgen von Elektronik für Kinder auseinandergesetzt hat, sollte wissen, oder wenigstens ahnen, dass diese Politik drastische und verheerende Auswirkungen hat. Ich empfehle dazu die tiefgreifenden und fundierten Forschungen von Manfred Spitzer und allen Hirnforschern. Doch selbst ohne tiefgreifende Forschungen sollten die negativen Auswirkungen einem doch auch nach dem eigenen Erleben von zu viel Medienkonsum bewusstwerden. Wir werden zu schnell abgelenkt, sind nicht mehr bei der Sache (beim gegenüber) können all die Informationen gar nicht mehr verarbeiten, behalten, merken oder darüber nachdenken. Kinder werden manchmal nicht mehr erzogen oder sich mit ihnen beschäftigt. Sie werden geparkt und sind damit „sorgenlos“. Welche Auswirkungen hat das? Verlust der Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeitsverlust. Schnelle Reizbefriedigung. Verlust der Selbstregulation, unsoziales Verhalten, Schlafmangel, Lernstörungen.
Diese Entwicklungen sind klar eine Folge der technologischen Entwicklung der Zeit. Die DDR-Zeit liegt mindestens 30 Jahre zurück. Damals steckte die Computerentwicklung noch in den Kinderschuhen und war für den privathaushalt noch höchstselten und eine Ausnahme. Auch die über Jahrzehnte entwickelte und lang vorhandene auch beim DDR-Bürger beliebte Fernsehlandschaft war übersichtlich. Es gab noch Sendeschluss 24 Uhr, Frühstücksfernsehen gab es noch nicht. Der Sendebeginn war häufig auch im Westen erst nachmittags, die Anzahl der Sender insgesamt belief sich häufig auf 3 bis 6. Ich durfte zuhause in eine Schwarzweiß-Röhre schauen. Und Sendungen für Kinder waren rar und liefen nur drei bis viermal pro Woche für ca. eine halbe Stunde. War man also krank war es nicht selten das man vormittags das Testbild des DDR-Fernsehens erblickte:

Soviel zu den vier Schatten-Aspekten die sich als Herausforderungen sich dem Lehrer im Vergleich zu früher stellen. Das Problem haben wir erkannt. Doch der Mensch hat zum glück ein Gehirn und sucht fast schon automatisch nach Lösungen um Situationen wieder zu verbessern. Wie könnten diese (ganz konkret) aussehen? Dazu schreibe ich morgen in der Fortsetzung meines Artikels.
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