Aus den Augen – aus dem Sinn
Gibt es verschiedene Realitätsebenen? Ist die Realität gar nicht so real wie wir glauben? Wenn man sich so betrachtet, wie eine Realität in einem Computerspiel (möglicherweise) so programmiert wird, so kann man dadurch auch einen anderen Blick auf die wirkliche Wirklichkeit (Oder was wir eben dafür halten) bekommen.
Titanic digital besichtigen
Die Gedanken kamen mir, als „ich“ virtuell am Bildschirm als „Medjai“ zunächst einige Minuten tatenlos in einem antiken ägyptischen Fischerdorf herumstand. Es ist schon Wahnsinn, was die Programmierer sich alles einfallen lassen und dann auch tatsächlich umgesetzt haben. Der Unterschied zu dieser Fülle an Dingen und Details und Aufwand wird deutlich, als ich neulich auch ein beeindruckendes Video der digital nachgebauten Titanic sah. Es ist hier nicht allein so, dass man ein von alles Seiten bekuckbares Bootsmodell hat, ähnlich einem selbstgebauten Modellschiff. Nein, das digitale Modell kann noch viel mehr. Man kann über eine Brücke einsteigen und durch alle Räume und Decks der äußerst prachtvollen Inneneinrichtung nach Belieben herumwandeln. Opulenteste gestaltete Holz-Treppenaufstiege kitzeln die Augen in ihrer Schönheit, majestätisch-prachtvoll hergerichtete Speisesäle und dagegen ein verworrenes Leitergewirr und Dunkelheit im riesigen Raum der Dampfmaschinen. Echt beindruckend. Doch was fiel mir schon nach kurzer Zeit auf? irgendwie hat man ja doch die Bilder aus dem nun schon 25 Jahre alten TITANC Film mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio im Kopf? Warum wirkte trotz detailreichster Gestaltung des Interieurs das schiff so unnatürlich? Menschenleer! Es fühlt sich wie ein Geisterschiff an. Überall gähnende Leere. Keine Menschenseele weit und breit. Es wird ganz deutlich, dass sich für das menschliche Empfinden, die menschliche Wahrnehmung hier etwas Elementares fehlt.
Unendlich lebensechte Details von Mensch und Tier in Assassins Creed Origins

Welcher Gegensatz jedoch dazu zu dem Spiel im antiken Ägypten. Von was schreibe ich überhaupt? Ich meine das Computerspiel Assassins Creed Origins, dass mich einige Wochen in seinen Bann zog. In diesem Spiel wandelt man als eine Art einsamer Krieger durch das antike Ägypten zur Zeit Cäsars, der Blütezeit des römischen Reiches. Hier „fühlt“ es sich richtig lebendig an. Auf dem Wasser aufliegende Vogelschwärme. Fischer kreuzen mit ihren kleinen Segelbooten. Auf den Straßen findet man unzählige Passanten, die sich auch noch nach einem umdrehen. Spielende Kinder die herumtollen und sich eben genauso verhalten wie echte Kinder und nicht nur versteinerte, unbewegliche Statuen sind. Oftmals findet man sich unterhaltende Passantengruppen im Dorf, oder gelegentlich auch kleine Handgemenge oder sich versammelnde Protestgrüppchen deren Anführer lauthals eine Botschaft zu verkünden hat. Als Gipfel kommen auch manchmal kleine Katzen angeschnurrt, die man irgendwie sogar streicheln lassen kann. Ich habe leider noch nicht herausgefunden, wie das geht. Verrückt. All das erzeugt eine organisch und lebendig anmutende Lebenswelt in der man sich regelrecht verlieren kann. Es wird nie langweilig. Die Umgebung ist sozusagen sehr dynamisch, auch hinsichtlich ihrer erscheinenden sozialen, menschlichen Ebene. Der Mensch ist nun mal ein soziales Wesen. Er lebt selten als völlig einsamer Krieger, sondern inmitten einer Gemeinschaft, einer lebendigen Gemeinschaft in der jeder andere Charakter auch ein eigenes, indivuelles Leben hat und sich doch immer wieder mit seinen anderen Mitspielern vernetzt und von ihnen angestoßen wird und sie gleichzeitig auch anstößt. Genauso scheint es auch in dieser digitalen Welt von Assassin Origins zu sein. Immer gibt es was zu entdecken.
Wie wird eine Realität in einem Computerspiel programmiert?
Doch darum geht es nun gar nicht im Kern. Die Frage ist vielmehr, wie ich denke wie diese Realität der Menschlein zustande kommt? Hier müsste man tiefer in die Programmierer-Ebene eintauchen. Doch keine Angst. So kryptisch wird es jetzt an dieser Stelle nicht. Es geht nur um die schematisch-abstrakte Funktionsweise so eines Spiels. Ich habe mich nämlich mal gefragt, ob das Programm zu jedem Zeitpunkt die Position jedes einzelnen Menschleins in diesem Spiel berechnet und daraus dann ob es gerade in meinem Bereich ist und was es dort gerade machen wird. Wieviel werden wohl statistisch gesehen dort leben, im digitalen Ägypten? Vielleicht gibt es ja eine digital berechnete Einwohnerdichte? Nun die Programmierer wüssten sicher darauf eine Antwort. Jedenfalls wird es so nicht sein. Das würde mit Sicherheit viel zu viel Rechenpower kosten. Mit der Landschaft ist es übrigens ebenso. Das weiß ich, als ich mich vor Jahren mal mit einigen theoretischen Grundlagen der Computerprogrammiererei, besonders der 3D-Grafik befasste.
Nur das was im Blickwinkel liegt wird auch berechnet und existiert
Der Schlüssel ist: Es wird nur das berechnet, was für den Spieler auch sichtbar ist. Das eröffnet einen neuen Blick auf die Realität. Das Pferd wird sozusagen von hinten aufgezäumt. Das Programm schaut zunächst einmal wo der Spieler überhaupt ist, und vor allem wo er hinschaut. Einzig und allein entscheidend ist der Blickwinkel des Spielers. Angenommen ich sehe vor mir drei Menschlein die auf mich zu laufen. Dann weiß das Programm das es zahllose Handlungen von diesen errechnet muss. Sogar höchst detailliert. Laufen die Menschlein an mir vorbei und verschwinden sie aus dem Blickfeld, sie verschwinden sie auch aus der Realität des Spielprogramms. Sie werden dann nicht mehr berechnet. Jedenfalls zum allergrößten Teil nicht mehr. Irgendwie muss sich das Programm ja doch merken, dass die drei Personen an mir vorbeigelaufen sind, und wie sie aussahen. Es wäre schon sehr verblüffend, wenn aus der jungen Dame mit weißem Kleid, plötzlich ein alter Sack mit einer braunen Joppe und Strohhut geworden wäre, sobald ich mich umdrehte.
Das Verrückte ist also, das die Realität ganz anders entsteht als wir es von der Wirklichkeit glauben. Das Programm kuckt zunächst, wo ich mich befinde, und dann -das alles Entscheidende- wo mein Blickfeld entsteht, und wie groß dieses ist. Dann berechnet es für dieses Blickfeld die Realität (des Spiels). Alles was außerhalb des Blickfeldes ist, ist nicht wichtig. Es muss in diesem Moment auch nicht berechnet werden. Es existiert schlicht nicht.
Existiert das was du nicht siehst weiterhin, in deiner Abwesenheit?
In unserer wirklichen Wirklichkeit sieht es anders aus. Glauben wir zu mindestens. Alles was wir gerade nicht sehen, ist trotzdem existent. Doch richtig überprüfen können wir es nicht. Man kann ja nicht Sachen sehen, die man nicht sehen kann. Entweder man sieht es, oder nicht. Es gibt sogar Anzeichen dafür, dass es für uns in der wahrgenommenen Realität auch so ist, wie in diesem Spiel. Denn nicht umsonst gibt es Sprichwörter wie: „Aus den Augen, aus dem Sinn“ oder „Was ich nicht weiß macht mich nicht heiß.“ Das bedeutet: Alles was gerade nicht im Blickfeld ist, ist auch nicht relevant für mich. Ich kann es viel leichter aus meinem Bewusstsein entfernen. Für den Menschen ist nicht unbedingt relevant was wirklich ist, (wenn es so etwas überhaupt gibt) Sondern was für ihn in dem gegenwärtigen Augenblick zu Bewusstsein kommt, für sein Bewusstsein wirksam ist. Daraus entsteht für den menschlichen Geist seine als wahr erkannte Realität.
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