„Die besten Grüße für Martin Mutschmann“

Der Türmer

Gestern sind mir etliche Hefte einer Neuanlieferung von alten Zeitschriften in de Hände gefallen. Sie heißt „Der Türmer“. Diese sind wirklich einzigartig und hochinteressant. Es handelt sich dabei um eine Zeitschrift des Chemnitzer Geschichtsvereins über Tradition, Geschichte und Architektur seiner eigenen Stadt. Der Inhalt ist brisant: denn jetzt kommts: Diese Hefte sind außer wohl einer der folgenschwersten Epoche für Deutschland den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts, also also der Hoch-Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland publiziert worden. Und diese Ideologie spiegelt sich auch ganz klar in den Sichten und Texten der Zeitschrift, obwohl es hier um teilweise man möge zunächst meinen ideologiefreie oder ideologieferne Themen geht, wie Architektur, Kunst Brauchtum, nicht um Politik oder Ideologie per se.

Was ist „Deutsch“?

Die Gedankensplitter sind wirklich vielfältig, dass es schwer fällt sich auf wenige Punkte zu beschränken. Man erfährt auch einiges darüber wie das Leben damals in Chemnitz war. Das finde ich zunächst hochinteressant. Auch in der Hinsicht, da ja insbesondere von der historischen Innenstadt nach dem Krieg kaum etwas übriggeblieben ist. Wie dachten die Menschen? Wie formte sich ihr Selbstverständnis ihrer eigenen Zeit durch Betrachtung und gerichteter Interpretation ihrer damals sicht- und greifbaren Geschichte und Tradition in der Synthese mit der alles durchdringenden Ideologie des Nationalsozialismus? Ein Meisterstück über Deutschland. Über sogenanntes „deutsches“ Denken. Über so verstandenes, zeitgenössisch-selbstverständliches „deutsches“ Sein.

Aus welchen Zutaten synthetisiert sich Tradition und nationales Bewusstsein?

Bei aller Boshaftigkeit und monströsem Schauder, der uns beim Blick darauf wähnt, trotzdem: sichtbar und prägend bleibt die Verschmelzung Komponenten was ein aus Sicht der Autoren und Denker genuin erachtetes zutiefst „deutsches“ oder auch Heimat- und Traditionsgefühl ausmacht und hier destilliert aufgezeigt wird: Ein Schmelztiegel aus Handwerks- und Industrietraditionen, abgestammter und weiterentwickelter Kultur und Architektur, Handwerkerstolz, Brauchtum an Schrift, Lied und Ritual, volkseigener Glaubenssätze an Schaffenskraft, arbeitende Treue, Willensstärke und stolze, aber bescheiden genossene Ernte aus dem Brot der Mühe. Der unbändige und unerschütterliche Glaube an Richtigkeit des eigenen Tuns sollte nun auch genutzt und überhöht werden. Ist es das, was die Betrachtung auf Kunst, Architektur und Tradition vom schaffenden Chemnitzer der 30er Jahre sagen will?

Was kennzeichnet nationalsozialistische Sprache?

Ein besonderer Punkt den ich herausheben möchte, ist die ideologisch-verbrämte Einstellung die aus den Texten sichtbar wird. Natürlich ist es erst jetzt, mit sehr viel zeitlichem Abstand möglich, diese Texte und ihren Duktus, ihre Qualität mit einer gewissen Objektivität zu betrachten, zu analysieren und zu bewerten. Ersten weil wir wissen, wie die ganze Sache ausgegangen ist. Besonders am Nachfolgetag des Tags der Befreiung. Und weil wir zweitens mittlerweile die wissenschaftlichen Erkenntnisse der sprachlich-psychologischen Wirkung solcher Texte, die sich ja auch im realen Denken wiederspiegeln, wissen. Erstaunlicherweise zeugen die Schriften von einer ebensolchen erfassenden Linientreue und vollkommener, fast schon vorauseilend verstärkter Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Ideologie.

Gibt es unpolitische Themen? Oder: Kann es ein richtiges Leben im falschen geben?

Vielleicht entdecke ich auch noch Texte die nüchtern sachlich sind. Da geht es zum Beispiel um den Bericht eines Neubaus der IHK in Chemnitz im Stil der Zeit und mit genauer Beschreibung ihrer prachtvollen Ausstattung. Artikel über plastische Außenkunst in Grünanlagen der Stadt. Bei Portraits von Größen und Würdenträgern der Stadt wird es schon politisch-brisanter. Denn hier tritt deutlich, nämlich in Persona und auch kraft von Uniformen und Symbolen, die Strahlkraft des Nationalsozialismus, zuvorderst aber durch ihre Aussagen und Zielrichtungen, hervor.

Welche Fragen könnte ich mir stellen? Versuch einer Anaylse

Da ich mittlerweile einige sprachlich-analytischen Fähigkeiten besitze, möchte ich auch hier den Versuch wagen, einige Texte zu dekonstruieren und so ihre sprachlich-gedankliche Wirksamkeit sichtbar zu machen. Unter den Aufgabenstellungen:

  • Was kennzeichnet die generelle Denkstruktur des NS?
  • Welche Stimmung wird erzeugt?
  • Welche sprachlichen und gedanklichen Mittel werden dazu genutzt?
  • Wo gibt es Verwandtschaften?
  • Zu welchen Ergebnissen führten diese Anwendungen und Denkweisen?
  • Inwiefern gelang es den NS ein Selbstverständnis zu kreieren und aufrechtzuerhalten?

Der Mensch ist dazu da, Dingen eine Bedeutung zu geben.

Wenn man die Texte entsprechend analysiert, so verlieren sie auf einer Ebene natürlich ihre Wirksamkeit (auch schon um das wissen ihre historischen Abfolge) gleichzeitig wird offenbar das sich hinsichtlich des Vorhandenseins von bestimmten Schlüsselwörtern und auch Stimmungen diese durchaus auch etwas mit der Gegenwart und mit dir selbst zu tun hat oder haben könnte. Denn die deutsche Sprache ist vielgestaltig aber doch begrenzt hinsichtlich ihres Wortschatzes. Und manche Schlüsselwörter begegnen uns vielleicht wieder und wieder.

Man muss bedenken, dass die damaligen Menschen die Lage und die Geschehnisse und Politik nur anhand des damaligen Standes der geschichtlichen Entwicklung beurteilen konnten, und auch nur anhand der damals vorherrschenden Wertevorstellungen und kollektiven Bewusstseins. Und das war sehr stark anders als heute.  Insofern war die NS-Ideologie und Idee aus dieser Richtung recht progressiv und nicht wie heute verstanden rückwärtsgewandt. Daher ist die Verbindung nationalsozialismus=rechts=ultrakonservativ=veraltet=fortschrittsfeindlich zu überdenken und in Frage zu stellen.

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